Die Minenstadt
"Dogli, da kommen Reiter den Weg hinauf zu uns", raunte Orflaf seinem Nebenmann zu, der mit ihm zusammen im Süden auf den Mauern saß und den Weg bewachte.
"Ich sehe sie, aber wie viele sind das?"
"Es sind keine Menschen..."
"Was wollen die aus Lin Giliath hier? Wir haben sie nicht gerufen."
"Was weiß ich. Vielleicht wollen sie einen Handel eingehen."
"Orndr wird sich gewiss freuen über Besuch. Dann kann er Lauten zählen."
Raues Gelächter erklang hinter den beiden Wachen. "Ich werde hier gar nichts zählen. Ich habe meine Arbeit getan. Da kann sich jemand anderes drum kümmern... Havor zum Beispiel."
Orndr nahm es Havor immer noch übel, dass er die Säcke nicht wie besprochen verteilt sondern in der hintersten Kammer gelagert hatte. Dabei brauchten sie das Getreide ständig. Sein Magen meldete sich. Wortlos setzte er sich hin und nahm aus dem Suppentopf eine große Portion.
"Hauptsache jemand anderes. Ich habe keine Zeit, keine Lust und ich habe Hunger."
Damit war dies erledigt und kein Elb der Welt würde Orndr nun davon abhalten, sein Mahl zu verspeisen.
Als sich die Stadt vor ihnen zu erkennen gab, kaum dass sie eine kleine Mulde durchquert und den folgenden Hügel überquert hatten, stieg ihnen der Geruch von glühendem Eisen und Schwefel in die Nase. Keine der Wachen schien sich daran zu stören, dass sie sich näherten. Ein einzelner Mann winkte ihnen zu. Er schien sie bereits erwartet zu haben, denn er räumte gerade mit einer Mistgabel etwas Heu zur Seite in einem kleinen Verschlag, wo bereits einige Ponys untergebracht waren.
"Seid gegrüßt. Wir sind Reisende aus dem Süden. Wir suchen hier einen Verantwortlichen dieser Stadt, einen Anführer oder dergleichen."
"Oh da müsst ihr auf die Suche gehen. Orndr ist heute schlecht gelaunt..." Es folgten einige Namen von weiteren Zwergen, doch es war immer noch nicht klar, an wen sie sich wenden müssten. "Heute haben sie nur so viel zu tun. Der kommende Winter versteht ihr? Fragt einfach einen von ihnen, die nicht gerade bei den Essen stehen."
Kaum dass sich die Reisenden ein paar Schritte in den Ort begeben haben, wussten sie, was der Mann gemeint haben musste. Es erklang ein Pochen und Hämmern, beinahe einem seltsamen Rhythmus folgend, der das Lied der Arbeit begleitete. Einer der Zwerge schob gerade einen leeren Handkarren in Richtung der Minen, während ein weiterer fertiggestellte Werkzeuge eilig zu einem Tisch trug, wo er es akribisch sortierte. Keiner von ihnen schien sich daran zu stören, dass sie nun Besuch bekommen hatten.
Bei genauerem Hinsehen konnte man jedoch den einen oder anderen Kopf sehen, wie er sich einem anderen zuneigt. Worte wurden geflüstert, die wohl nur die Zwerge verstanden. Wer sich geschickt anstellte, konnte zusammengezogene Augenbrauen erkennen, wenn sich deren Besitzer unbeobachtet fühlte. Die Frage nach einem Verantwortlichen wurde geschickt ausgewichen. Die meisten hatten keine Zeit, sich darum zu kümmern, manche wussten es wohl nicht und manch einer schien auf diesem Ohr taub zu sein. Der Eindruck, einsam in einer vollen Stadt zu sein, drängte sich einem nahezu auf. Doch die Bewohner des Ortes wirkten teilweise auch sehr vertieft in ihre Arbeit. Nur die Augen der Wachen blickten sie ab und zu an.
Erneut öffnete sich eine der Türen zu den Minen im Norden. Ein Rumpeln und Quietschen ertönte, als ein schwer beladener Handkarren von einem Zwerg mit dunkelbraunen Haaren, die zu feinen Zöpfen geflochten waren, buschigen Augenbrauen und einem zweigeteilten Bart herausgeschoben wurde. Kurz hielt er an, um zwei Pickel neben den Eingang der Mine abzulegen. Eine dritte verblieb auf dem Karren, den er nun in die Mitte des Platzes schob, geradewegs zu einem Zwerg, der neben einer Ansammlung von Tischen mit Dutzenden verschiedenen Werkzeugen stand und gerade Hand an einer Zange legte.
"He Morí. Ich brauche einen neuen Pickel. Der hier ist zerbrochen."
"Flosir, Du sollst damit schürfen, nicht den Berg zertrümmern." Kopfschüttelnd nahm Morí den Pickel entgegen. Der andere Zwerg dagegen blickte sich nur um, als er der Reisegruppe aus Elben gewahr wurde.
"Was wollen die denn hier?" Ehe einer antworten konnte, neigt dieser den Kopf zum Werkzeugmacher, der ihm etwas zuraunte. Flosir gestikuliert wild mit den Armen und das eine oder andere unflätige Wort war zu vernehmen. Es ging offenbar um ein Vorkommnis in der Mine.
"Die Ladung hier ist für die anderen Schmiede. Sie sollen zusehen, dass sie da was rausholen können."
Flosir packt seinen Karren und wollte ihn gerade weiter schieben, als er sich dann mit ruppiger Stimme an die Elben richtete.
"He Ihr da! Ja genau ihr! Steht hier nicht so im Weg herum. Wir haben zu arbeiten. Dies hier ist kein Ort für eure sauberen Roben. Sagt was ihr wollt, aber stört uns hier nicht bei der Arbeit. Wir haben noch viel zu tun, bevor der Winter einbricht."
"Wir haben den weiten Weg aus Imladris nicht auf uns genommen, um hier wieder fortgeschickt zu werden", antwortet Torendir kühl.
"Aus Imladris? Ich hätte Lin Giliath geraten. Was auch immer ihr hier sucht, ihr findet es garantiert nicht und nun schert euch fort, wenn ihr nichts kaufen wollt."
Der Zwerg schien sich kurz zu besinnen, denn plötzlich deutete er auf einen anderen Zwerg, der vor einem Haufen von Listen saß.
"Ihr solltet mit dem Buchmacher dort drüben reden, wenn ihr Handel treiben wollt. Er weiß wer gerade Zeit hat."
"Wir sind nicht zum Handeln hergekommen. Uns wurde eine Botschaft geschickt, in der wir gebeten wurden, hierher zu kommen."
"Eine Botschaft? Kann ich das glauben? Zeigt sie mir", forderte Flosir den Elben auf.
"Seid Ihr hier verantwortlich in der Stadt?", fragte Gildinfael.
"Wie jeder andere auch. Selbst das kleinste Rädchen trägt Verantwortung denn wenn es ausfällt, drehen die großen Räder nicht weiter."
Noch zögerte Torendir in der Hoffnung, dass vielleicht Glamnir auftauchen möge.
"Was habt ihr? Angst vor etwas Schmutz und Schweiß? Was glaubt ihr wie wir schürfen?" Der Zwerg wischte sich wie zum Beweis nun mit dem Handrücken über die Stirn. Was vorher aussah wie ein dunkler Goldton, entpuppt sich nun aus einer Mischung von Schweiß und Dreck, der nun seine Stirn zierte.
"Aber nun her mit dem Wisch. Ich will wissen, ob ihr die Wahrheit sagt."
Erneut streckte der Zwerg die Hand aus, aber er überlegte es sich anders und deutete stattdessen ein paar Stufen hinauf, wo ein freier Platz zu erkennen war. An seinem Ende war eine reich verzierte Tür in den Stein gehauen.
Als der Zwerg das Schreiben überreicht bekam, hielt er noch eine Weile inne. Wenige Augenblicke betrachtete er jeden von ihnen, als wollte er sich alle Gesichter einprägen. Bei Aelwyna hob er gar eine Braue, wohl überrascht, dass ein Mensch mit Elben reiste. Letztendlich aber widmete er sich dem Schreiben.
"Er hat nicht gesagt, dass ihr gleich die ganze Sippschaft anschleppen würdet und fremde Menschen dazu. Ihr seid also dieser Torendir hm?"
"Das bin ich. Und wer seid Ihr?"
"Nun gut. Mein Name ist Flosir und ich bin nicht sehr erfreut darüber, dass ihr meine Arbeit unterbrecht, aber es muss wohl so sein." Mit einem Zucken seiner Schultern bestätigte er nur seine Ansicht darüber. Kaum aber dass er einen freien Blick auf den Buchmacher bekam, an den er sie noch eben erst verweisen wollte, brüllte er los, als sollte es bis nach Lin Giliath klingen.
"HLÁJÁ, SORGE FÜR MEINE ABLÖSE. ICH HABE… GÄSTE. WIR BRAUCHEN NOCH ZWEI LADUNGEN. HEUTE NOCH!"
Der angesprochen Zwerg musste nicht viele Worte verlieren. Er rief einer der Wachen etwas zu, die sich darauf wortlos abwendete und in einem Gebäude verschwand.
"Ob nun Wachen, Schmiede, Schürfer oder Werkzeugmacher. Es ist einerlei. Wir lösen uns ab, wo es nötig ist", erklärte Flosir den Gästen.
"Kommt mit, wir haben einiges zu bereden", herrschte er sie dann plötzlich an, als sei es keine Bitte sondern eher ein Befehl. Den Elben blieb nichts anderes übrig, als ihm in eine der Gassen zu folgen, wohin er verschwand.
"Wartet hier, ich bin gleich zurück. Hier steht ihr den andere wenigstens nicht im Weg", brummte er den anderen zu, ehe er in einer Tür verschwand. Ob er dabei die immer spitzer werdenden Bemerkungen von Amnen bewusst ignorierte oder einfach nur nicht wahrnahm, war nicht zu erkennen.
Flosir dagegen bemerkte sie natürlich. Jedes Detail blieb ihm im Kopf haften. Auch dass der Elb, den die anderen unter den Namen Amnen kannten, teilweise die Sprache der Elben verwendete, stieß Flosir übel auf. Wenn ihm nicht von Glamnir und dessen beiden Freunden das Versprechen abgerungen worden wäre, diesem Torendir und jeden seine Begleiter einfach nur die Geschehnisse zu berichten, egal was auch geschehen möge, dann... Sein Blick fiel auf eine Wandtafel. Es zeigte ein Bild einer Schlacht. Mit einem Mal wurde sie sehr lebendig. Das eiskalte Wasser aus der flachen Schüssel riss ihn wieder aus den Gedanken, als er seine Hände hineintauchte, nachdem er sich das schmutzige Hemd vom Leib gezogen hatte.
Kurz konnten die Besucher der Stadt den Fackelschein aus dem Inneren sehen, als sich die Tür wieder öffnete. Zwar ist noch immer sein Schweißgeruch zu vernehmen, doch das Gesicht Flosirs ist sauber und auch die Hände. Er hatte sich wohl notdürftig gewaschen. Mit einem frischen Hemd in der Hand kam er ihnen entgegen, welches er sich vor ihren Augen überzog. Das Hemd, welches seinen muskulösen Oberkörper umspannte, schien ihm beinahe zu eng zu sein, doch es waren eher die Muskeln als Fettmasse, die das Hemd ausfüllten.
"Ihr seid also Freunde dieses Glamnir ja? Hat der alte Kauz also tatsächlich Elben um Hilfe gebeten... wie dem auch sei, nun seid ihr hier und ich muss euch unterrichten."
"Was gibt es so wichtiges, als dass wir uns in eure Stadt begeben müssen?", fragte Torendir prüfend.
"Hört gut zu, denn ich werde es nur einmal berichten." Mit gesenkter Stimme fuhr er fort. Beinahe väterlich erklang die Stimme nun.
"Vor geraumer Zeit geschah hier etwas sehr merkwürdiges. Seht Ihr dort drüben den Hügel?"
Sein Arm war dabei auf einen hohen Hügel ein Stück weit im Osten gerichtet. Auf dem Gipfel befand sich ein hölzerner Aufbau.
"Das ist der höchste Punkt in der Nähe und das dort oben ist das Leuchtfeuer Othrikars. Einer unserer Späher berichtete von einer zunehmenden Ansammlung von Krähen. Widerliche Wesen. Ratten mit Flügeln wenn ihr versteht. Sie wurden immer mehr und mehr und als sie sich erhoben, verdunkelte sich der Himmel als würde ein Unwetter aufziehen."
Verschwörerisch gestikulierte Flosir mit den Armen, um das Ausmaß der Ansammlung deutlicher zu machen.
"Wir wussten nicht, was sie vorhatten, aber wir bezogen Stellung um den Hügel bewaffnet mit Armbrüsten.
Sie zogen ihre Kreise unweit der Spitze dort, als sich ein einzelner Vogel näherte. Wie auf ein Zeichen wechselte der Schwarm plötzlich seine Richtung und hielt auf den einzelnen zu.
Dieser änderte ebenfalls seine Richtung. Erst dachten wir, er sei ihr Leitvogel oder dergleichen."
Hatte Torendir bislang nur beiläufig zugehört, horchte er nun auf. Ein Leitvogel wäre möglich aber die Art der Worte ließen ihn zweifeln.
"Dann als sie die Spitze passierten, brach das Unwetter los und zwar wortwörtlich. Blitze zuckten in den Himmel. Ihr habt richtig gehört. In – den – Himmel", wiederholte Flosir.
"Wir fürchteten schon, dass ein Zauberer auf der Spitze sein Unwesen treiben würde. Ein Feuerwerk war es, wenn auch die Leuchtkörper andere waren, als wir erst vermuteten."
"Wie auf der Wetterspitze...", raunte Gildinfael leise.
"Kommt mit, ich zeige euch die Stelle", forderte der Zwerg die anderen auf, ihm zu folgen. "Keine Widerworte. Glamnir wollte es so, damit ihr versteht, was er vorhat… dieser Narr."
"Wo ist Glamnir nun?" fragte Torendir beunruhigt.
"Ich schätze oder hoffe für ihn in Esteldín, doch dazu später, erst will ich dort oben nach dem Rechten sehen."
Als sie sich in Bewegung setzten, begegneten ihnen einige Zwerge auf dem Weg nach oben, die dort Wache hielten. Sie sagten aber nichts, als sie Flosir voranstapfen sahen. Es schien wohl seine Richtigkeit zu haben. Einer von ihnen blickte hinauf zum Gipfel. Er schien zu verstehen, was ihr Kamerad vorhatte.
"Passt auf wo ihr hintretet. Es leben Raubkatzen in der Gegend. Weiter unten ist ein ganzer Luchsbau. Dort hineinzugelangen könnte einige üble Kratzer zur Folge haben." Es klang so, als hätte ihr Bergführer bereits damit Erfahrung gemacht.
Der Aufstieg ging recht flott, auch weil sie nahezu unsichtbare Stufen benutzten. Wie zufällig angeordnete Steine lagen manche herum, aber sie führten sie immer weiter hinauf. Oben angekommen waren sie trotzdem etwas außer Atem, selbst der Zwerg, der beim Aufstieg weitgehend geschwiegen hatte.
Als er wieder zu Atem gekommen war, deutet er auf zwei Stellen neben den Holzscheiten. "Hier war es. Dort… und dort." Dabei deutete er mit den Händen auf zwei Stellen, wo sich Markierungen befanden.
"Hier fanden wir zwei seltsame schwarze Steine, aber wir wussten gleich, dass es sich um etwas Gefährliches handelte. So wollten wir am nächsten Tag zu den Waldläufern, um sie um Rat zu fragen.
Dazu kam es aber nicht, denn wir sahen eine Reisegruppe. Darunter ein Zwerg, der uns bekannt war – Glamnir. Er kommt öfter auf seine Reisen hier vorbei seit er wohl im Westen irgendeine Schreibarbeit angenommen hatte
Die Steine waren schwarz und flach. Es befanden sich Runenwörter darauf. Brandspuren führten zum Teil nach Süden, andere nach Osten."
"Bote und Offenbarung...", entfuhr es Torendir, worauf sich die Brauen des Zwerges wölbten.
"Aha. Also kanntet ihr die Antwort, noch ehe ihr hergekommen seid?"
"Wir fanden selbst solche Steine auf der Wetterspitze mit genau diesen Worten", antwortet Torendir.
"Oh ich verstehe. Nun das erklärt natürlich einiges von Glamnirs Gefasel. Es ist wohl doch mehr dran an dem Kerl als ich ihm zugetraut hatte. Das würde auch erklären, warum er partout nicht im Süden suchen wollte, sondern den Osten bevorzugte. Andererseits weiß er ja nichts von eurem Fund..."
Flosir zog die Stirn derart in Falten, dass sie durchaus ein Abbild des Gebirges im Norden sein könnte.
"Wir brauchen mehr Waffen. Eisen. Wenn nicht Mithril dann Eisen. Wenn die aus Angmar was vorhaben, müssen wir gewappneter sein als jetzt, zumal die Waldläufer fort sind. Nur noch wenige sind in ihrem Tal geblieben."
"Ihr redet von Esteldín?"
"Ihr kennt den Ort? Gut, dann erspare ich mir die Druckserei." Flosir wirkte fast zufrieden bei den Worten.
Kurz hielt er inne, um sich umzusehen. Es war eng auf dem Gipfel, kaum genug Platz für jeden von ihnen, sodass einige nicht bis hinauf gegangen waren. Der Fundort dieses Steinpaares war ernüchternd normal. Trotzdem ergab es nun einen Sinn. Es war erneut ein hoher Ort, genau wie die Wetterspitze. Es blieb zu vermuten, dass sich vielleicht noch weitere auf dem Weg befanden wie beispielsweise in der Feste Alagos, die schließlich ebenfalls in den Wetterbergen bis zum Gipfel ragte. Da sie aber vermutlich genauso erloschen sind wie die anderen, war hier nun ein Angelpunkt erreicht, an dem sich entschied, wohin die Reise führen würde. Da Glamnir den Osten erwähnt hatte, waren ursprüngliche Überlegungen in Richtung Fornost, Evendim oder gar noch weiter nach Forochel unwahrscheinlich.
"Lasst uns wieder hinunter, ich muss bald zu meiner Wachschicht", sprach der Zwerg, bahnte sich einen Weg durch die Reisenden und stapfte zielstrebig hinab so wie sie hinaufgelangt waren.
"Was ist mit dem Vogelschwarm noch passiert?", fragte Torendir unterwegs.
"Die Vögel verschwanden vermutlich aus Schreck größtenteils wieder in den Hügeln. Andere wurden von den Blitzen zerrissen. Nur die ersten gelangten weiter, während der einzelne sich waghalsig zu Boden stürzte, so dass wir die restlichen paar verscheuchen konnten."
"Und die Steine?"
"Einen hat Glamnir mitgenommen und den anderen...", Flosir zögerte kurz, ehe er fortfuhr, "...haben wir in unserer heißesten Esse zerstört. Ich hoffe dies war richtig."
"Das war richtig, denn er hätte erneut gefährlich werden können", meinte Gildinfael.
"Wir tun was wir können", antworte der Zwerg.
"Was ist mit diesem Freund, den ich hier finden sollte?" fragte Torendir erneut auf halben Weg nach unten. Beinahe wäre er dabei über den Zwerg gestürzt, der abrupt stehen geblieben war. Lange schaute Flosir den Elben an, als wüsste er nicht so recht, was er antworten sollte. Dann nickt er ihm zu und brummt etwas von 'unten'.
Als sie unten angekommen waren, waren sie immer noch nicht schlauer als zuvor, außer dass sie nun wussten, dass sich zwei Steine wie auf der Wetterspitze befunden hatten und Glamnir vermutlich in Esteldín war. Torendir hatte aber das Gefühl, dass es hier noch um etwas anderes ging als nur um die Magie von Runensteinen. Als er schon fragen wollte, kam ihm der Zwerg zuvor.
"Ich werde gleich eure Frage beantworten, doch zuerst will ich euch etwas zeigen. Dann wird sich die Frage vielleicht von alleine beantworten."
Kaum dass er es ausgesprochen hatte, ließ er die anderen einfach stehen und verschwand in dem Gebäude, wo er bereits schon einmal verschwunden war. Kurz darauf erschien er erneut. In den Händen hielt er nun ein aufgewickeltes feines sauberes Tuch aus feinster Seide. Flosir begann es dann langsam zu entfalten bis etwas zum Vorschein kam – eine weiße Vogelfeder.
Torendir starrte wie versteinert auf die Feder, denn er wusste nun, welcher Freund ihn hier erwartet hatte. Er streckte die Hand aus, um nach ihr zu greifen, doch der Zwerg zog das Tuch mit der Feder zurück.
"Moment, nennt mir erst den Namen des Freundes, denn ich muss sichergehen. Schließlich war eine dunkle Macht im Spiel...", sprach Flosir mit Blick auf Torendir.
Die Proteste der anderen nahm er gar nicht wahr. Es war beinahe so, als wäre er hier vollkommen alleine mit dem Elben, auf den sein strenger Blick gerichtet war. Endlose Sekunden später wiederholte er die Frage, doch diesmal ruhiger.
"Heledir", kam es über Torendirs Lippen. Er hatte den anderen manchmal von ihm erzählt, zuerst in Echad Candelleth, als der Ruf der Krähe zu vernehmen gewesen war, kaum dass sie Bar-e-Techir verlassen hatten. Er war sein ältester Freund, der ihn schon viele Jahre begleitet hatte. Er erinnerte sich an das Gespräch mit Lotiel am Nen Harn. Nun glaubte er, dass er seit Echad Candelleth eine Vorahnung hatte. Vorsichtig nahm er die Feder entgegen, um dann leise zu fragen: "Wie geht es ihm? Ich muss zu ihm..."
"Gebt Euch keine Mühe und mir nicht die Schuld. Er ist nicht mehr hier", brummte der Zwerg beinahe gleichgültig, was dem Elben nun sichtlich die Gesichtszüge verhärtete.
"Wo ist Heledir?!", fragte Torendir erneut. Die Art wie er fragte, ließ keinen Zweifel daran, wie es um sein Innenleben aussah. Er hatte Mühe sich zu beherrschen. Selbst Amnen schwieg in diesem Moment.
"Oh da ist es vorbei mit der Ruhe wie mir scheint. Es ist nicht so, dass ich ihn euch vorenthalten würde, doch schaut euch hier um. Dies ist eine Minenstadt. Wir haben hier nicht die Möglichkeiten, ein Tier dieser Art zu pflegen", antwortet Flosir schließlich mit einem heiteren Blick, da es ihn offenbar amüsierte, einen Elben aus der Fassung gebracht zu haben.
"Also lebt er?"
"Ja er lebt, wenn er auch einiges abbekommen hat, als er sich in den dornigen Sträuchern verfing. Seine Flügel waren ihm keinen Nutzen mehr. Unter normalen Umständen hätte ich ihm keine Chance im Luchsbau gegeben, doch dieser Abend war nicht normal – ganz und gar nicht normal.
Diese Katzen waren verängstigter als euer Freund. Hm... wenn ich es recht bedenke, dann ist er nicht ausversehen dort gelandet", sprach Flosir.
"Auch wenn es Euch vermutlich wundern wird, er hat einen Freund dieser Gattung. Sein Name ist Tarias."
"Er ist doch nicht etwa hier oder?", fragte der Zwerg etwas beunruhigt.
"Ich glaube ihm bekam der Geruch hier nicht...", antwortet Torendir lapidar.
Der Zwerg murmelte etwas Unverständliches in seinen Bart. Dem Gesichtsausdruck nach war es sicherlich keine Höflichkeitsfloskel. Triumphierend blickte Torendir zu Amnen, der sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
"Wo ist er jetzt?"
"Einer unserer Leute hat ihn am zweiten Tag nach Schragen gebracht, als klar war, dass es hier kein Ort für ihn ist. Außerdem pflegen wir höchstens Pferde oder unsere Ponys, aber sicher keine Vögel."
"Nach Schragen? Warum nicht nach Esteldín?" Torendir war fassungslos.
"Ein Ort ist wie jeder andere. Außerdem war unser Meisterhandwerker sowieso unterwegs dorthin, um Werkzeuge im Tausch für Getreide und Gemüse zu liefern. Hätte ich etwas in Esteldín zu tun gehabt, hätte ich euren Freund nach Esteldín gebracht, aber ich stand an dem Tag an der Esse."
Mittlerweile waren die Gemüter wieder ein wenig beruhigt, der Ausflug auf den Gipfel des Hügels verdaut und die Sticheleien schienen in der Tat aufgehört zu haben. Tatsächlich war von Flosir eine schwere Last von den Schultern gefallen. Es hatte ihn Überwindung gekostet, diese... Elben herumzuführen, ihnen alles zu erklären und dabei ruhig zu bleiben. Er hatte eigentlich vorgehabt, sie nach der Übergabe der Feder einfach stehen zu lassen. Irgendwie aber wollte er es nun aber nicht mehr. Der blaue Elb, Torendir ob seiner blauen Robe so von ihm genannt, schien sehr an diesem Tier zu hängen. Echte Sorge hatte er in seinen Augen sehen können. Er war nicht so von der Idee eines verzauberten Steines eingenommen, wie es Glamnir war. Zwar schätzte er Pflichtbewusstsein, doch Freundschaft war etwas Wertvolleres.
Vielleicht hatte er sich anfangs falsch verhalten. Es war an der Zeit, die Schlacht im Bildnis zu lassen. Es gab schließlich genug Probleme andernorts und so nutzte dies Flosir für eine Prahlerei.
"Ja ich bin ein Meisterschmied. Meine Kunst ist hier beinahe unübertroffen. Es gibt nur wenige, die besser ihren Hammer führen können als ich", kam es über seine Lippen. Umringt von den Elben und Aelwyna wirkte es fast schon merkwürdig, wie sich der Zwerg groß fühlen konnte in diesem Moment, wo er sie zuvor noch am liebsten herumgeschubst hätte.
Einer plötzlichen Idee folgend sprach die Frau aus Gondor ihn an: "Würdet Ihr Euch vielleicht einige Waffen anschauen, die wir gefunden haben? Ihr könnt uns doch sicher etwas über sie verraten wenn Ihr ein Meisterschmied seid nicht wahr?"
"Das kann ich für euch tun. Wo sind sie?"
"Bei den Pferden."
"Gut ich folge euch."
Aelwyna ging voran zu ihrem Pferd, während ihr die anderen folgten. Kurz darauf hielt sie einige der Waffen in den Händen, um dann eine der Waffen, die sie aus Imladris mitgeführt hatten, dem Zwerg zu überreichen.
Sorgfältig wog er das Schwert in der Hand. Vorsichtig hielt er es auch ins Licht, welches zu dieser Stunde langsam schwand, denn es war fast schon abends.
"Ha! Das nenne ich Kriegsbeutenverwertung
Seht, diese Schwerter sind vor langer Zeit in den Schmieden von Carn Dûm gefertigt worden... Solches Eisen findet man kaum anderswo, aber selbst in Bruchtal würden die dortigen Schmiede lieber etwas anderes verwenden, selbst wenn sie sonst nichts hätten."
Sein Blick ging dann zu den Gravuren, die er nun genauer betrachtete.
"Hrm... solche Arbeiten kenne ich doch. Das sind doch diese... Stammeszeichen", sprach er erstaunt.
"Das passt aber nicht zu... Moment!" Seine Augen hellten sich plötzlich auf, als hätte er einen Schatz entdeckt.
"Diese Stammeszeichen verheißen vielleicht etwas Gutes... wobei... Ihr habt sie aus den Händen toter Krieger genommen nicht wahr?"
"Es ist eine lange Geschichte, die ich Euch ersparen möchte. Aber es ist wahr. Die Männer sind nicht mehr am Leben und wir suchen jene, die sie geschickt hatten."
"Dann solltet ihr zuerst mit den Trév Gállorg sprechen, aber sie werden sicher nicht gerade erfreut darüber sein, wenn ihr ihnen die Waffen ihrer toten Krieger bringt", sprach er eindringlich zu den anderen.
"Ich kenne sie ein wenig, denn wir handelten oft mit ihnen. Sie sind etwas verschlossen Fremden gegenüber. Findet die richtigen Worte und sie werden sich erkenntlich zeigen."
"Habt Dank Herr Flosir für das anfänglich schwierige aber am Ende doch sehr hilfreiche Gespräch. Wir wissen eure Informationen sehr zu schätzen", sprach Torendir.
"Dankt nicht mir, sondern dankt der Weitsicht von Glamnir. Ich habe ihm versprochen, euch zu helfen und das habe ich getan... und ich habe es gerne getan."
Der Abschied fiel leicht, auch weil sie ihr Lager in Esteldín aufschlagen wollten, bevor die Nacht hereingebrochen war. Der Tag war anstrengend gewesen. Die Reise, eine Bergwanderung sowie die nicht gerade erfreulichen Gespräche mit diesem unwirschen Zwerg, auch wenn sie nun ein klares Bild vor Augen hatten, was sich zugetragen haben musste, hatte viel Kraft gekostet. Genau wie auf der Wetterspitze hatte Tirbethel dafür gesorgt, dass die Runensteine ihre Kraft blitzartig verloren – buchstäblich. Die Erkenntnisse, die man in Othrikar gewinnen konnte, bestätigten nur die schlimmsten Befürchtungen, die sie bereits hatten. Ihr Weg führt nach Nordosten ins dunkle Land Angmar, wenn sie auch in Esteldín eine sichere Zuflucht finden würden. Torendir dachte, während sie sich auf der Straße bewegten, an etwas völlig anderes. Endlich hatte er Gewissheit. Sein Freund Heledir, der weiße Rabe, er war am Leben. Schragen lag nur in der falschen Richtung. Er schien mit sich zu ringen, doch letztendlich fing er sich wieder und wendete sich an seine Begleiter.
"Freunde, ich muss mich nun entscheiden, welchen Weg ich gehen soll. Euer Weg ist klar. Er führt nach Esteldín. Sucht meinen Freund Glamnir auf. Er wird euch sicherlich erwarten. Es dürfte wenige Zwerge in Esteldín geben. Aelwyna hat ihn bereits kennengelernt und wird ihn sicher erkennen.
Mein Weg führt mich aber heute noch nach Schragen. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich meinen Freund gefunden habe, denn ich will wissen, wie weit er bereits genesen ist."
"Es ist schade, dass Ihr uns nicht weiter begleiten wollt. Passt auf Euch auf", sprach Gildinfael.
"Sorgt Euch nicht um mich, denn ich habe Tarias an meiner Seite. Gemeinsam werden wir euch folgen, sobald ich mit Heledir reisen kann. Wir sehen euch bald wieder."
Ohne sich noch weiter umzudrehen, lenkte Torendir sein Pferd nach Westen. Gildinfael dagegen lenkte gemeinsam mit den anderen ihr Pferd nach Osten, denn in diese Richtung lag Esteldín, das versteckte Tal der Waldläufer.
_________________ Eine kleine ABC-Musiksammlung - aktualisiert am 17.05.2011
Sidhril, Torendir, Mallthirion, Thrygrim Eisenschild Adelgunde Rosenwind, Montegar Doldentau, u.v.m
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